Person des Leistungsempfängers
Eine weitere Frage, die die Personen des Schuldverhältnisses betrifft, ist, an wen der Schuldner leisten muss, um die Obligation zu erfüllen. Es gilt, dass die Leistung grundsätzlich an den Gläubiger zu verrichten ist. Ausnahmen gelten dann, wenn der Schuldner entweder verpflichtet ist an einen Dritten zu leisten oder vom Gläubiger ermächtigt wurde. Bedeutet: Eine Leistung zugunsten Dritter muss vereinbart werden. Dies ist auch dann noch möglich, wenn die Obligation bereits entstanden ist. Die Ermächtigung muss dann in der gleichen Form vereinbart werden, wie der ursprüngliche Vertrag. Eine solche Leistung ist also in zwei Konstellationen denkbar:
- Sie haben diese Leistungsart mit dem Gläubiger vereinbart.
- Sie haben aus dem Gesetz die Möglichkeit oder Verpflichtung an einen Dritten zu leisten.
Ein gesetzlicher Grund für die Leistung an Dritte kann der Annahmeverzug nach Art. 92 OR sein. Kommt der Gläubiger seiner Pflicht – die Ware / Dienstleistung etc. anzunehmen – nicht nach, so kann der Schuldner an eine Hinterlegungsstelle leisten. Einfachster Fall: Ein Postunternehmen und Sie haben vereinbart, dass Sie ein Paar Schuhe am 05.04.2020 um 15:00 Uhr geliefert bekommen. Nun steht der Lieferant vor verschlossenen Türen. Er kann die Schuhe entweder mitnehmen und sekundäre Leistungsansprüche geltend machen (Schadenersatz / Zinsen durch Annahmeverzug etc.) oder das Paket bei einer Postannahmestelle hinterlegen. Obwohl nicht wie vereinbart geliefert wurde, hat das Postunternehmen die Erfüllung der Obligation geleistet. Der Gläubiger muss den Verzug zu vertreten haben.
Erfüllungsort: unterschiedliche Arten von Schulden
Der Erfüllungsort ist der Ort, an dem der Schuldner seine Obligation zu leisten hat. Die gesetzlichen Bestimmungen dazu finden sich in Art. 74 OR. Sollte der Schuldner nicht am richtigen Ort erfüllen, so tritt Schuldnerverzug nach Art. 102 OR ein. Umgekehrt tritt Gläubigerverzug nach Art. 92 OR ein, wenn der Schuldner am richtigen Ort leistet, jedoch der Gläubiger die Leistung nicht entgegennimmt.
Welcher Ort Erfüllungsort sein soll, kann – im Zuge der Vertragsfreiheit – zwischen den Parteien vereinbart werden. Das Schweizer Recht kennt drei Arten von Schulden, wenn es um den Erfüllungsort geht:
- Holschuld = der Gläubiger muss die Leistung beim Schuldner abholen.
- Bringschuld = der Schuldner muss die Leistung dem Gläubiger bringen.
- Schickschuld = der Schuldner muss die Leistung an den Gläubiger versenden.
Eine Besonderheit der Schickschuld ist, dass die Erfüllung erst dann erfolgt, wenn die Ware beim Gläubiger eintrifft. Das bedeutet aber nicht, dass der Schuldner für Versäumnisse des Versanddienstleisters haften muss. Sobald die Ware versendet wurde, geht die Gefahr vom Schuldner auf den Transporteur über. Im Schadensfall muss dieser haften (meist) und der Schuldner ist durch die Erfüllung der Obligation frei.
Sollte es keine individuellen Bestimmungen zum Erfüllungsort geben, dann gelten die folgenden Grundsätze:
- Wenn die Obligation darin besteht, eine Geldleistung zu bewirken, dann handelt es sich stets um eine Bringschuld.
- Wenn es sich um eine Gattungsschuld handelt, dann muss die Leistung vom Gläubiger geholt werden (Holschuld).
- Gleiches gilt bei Speziesschulden.
Erfüllungszeit einer Obligation
Weiterhin stellt sich die Frage, wann die Leistung bewirkt werden muss, damit Erfüllung anzunehmen ist. Der Schuldner hat nämlich nur dann richtig erfüllt, wenn Leistungszeitpunkt und Obligation kongruent sind. Die Erfüllungszeit kann – wie der Erfüllungsort – von den Vertragsparteien frei bestimmt werden. Eine solche Bestimmung ist in der Praxis nur dann nötig, wenn die Leistung nicht sofort erbracht wird. Es gibt dann zwei Möglichkeiten, um einen Leistungszeitraum einzugrenzen:
Termin
Häufig wird sich auf einen festen Termin geeinigt, an dem die Leistung zu erbringen ist. Vor allem bei Waren und Dienstleistungen ist es üblich, einen genauen Tag und eine Uhrzeit zu bestimmen. Eine solche Vereinbarung kann wie folgt aussehen: Der Handwerker soll am 01.02.2019 um 12 Uhr zu Ihnen nach Zürich in Ihr Haus kommen, um das Bad zu sanieren. Zum vereinbarten Termin wird die Leistung fällig.
Frist
Eine Frist ist immer dann ratsam, wenn eine Leistung nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt erbracht werden soll / muss. In diesen Fällen können Sie einen Zeitraum vereinbaren, in welchem der Schuldner die Möglichkeit hat zu leisten. Verstreicht die Frist, ohne dass geleistet wird, kommt der Schuldner in Verzug. Eine solche Vereinbarung kann wie folgt aussehen: Der A schuldet dem B Geld. Die beiden vereinbaren am 01.01.2021, dass das Geld bis zum 01.02.2021 zurückgezahlt werden muss. Ob der A nun am 02.01.2021 oder am 21.01.2021 leistet, ist egal – die Obligation wurde erfüllt.
Sonderfälle der Erfüllung der Obligation in der Schweiz
Das Schweizer Recht kennt zwei Sonderformen der Erfüllung. Diese Sonderfälle sind in der Rechtspraxis zwar recht selten, es schadet jedoch nicht, sie zu kennen. Sowohl bei der Leistung an Erfüllungs Statt als auch bei der Leistung erfüllungshalber geht es darum, eine Erfüllung zu bewirken, ohne die eigentlich geschuldete Leistung zu erbringen. Diese beiden Möglichkeiten sind nicht gesetzlich einklagbar, sondern beruhen darauf, dass Schuldner und Gläubiger übereinstimmend erklären, dass diese Lösungen für sie in Ordnung sind.
Leistung an Erfüllungs Statt
Grundsätzlich gilt, dass eine Erfüllung nur dadurch bewirkt werden kann, dass die geschuldete Leistung erbracht wird. Eine andere Leistung kann die Obligation nur dann erfüllen, wenn sich Gläubiger und Schuldner darüber einig geworden sind. In der Praxis ist es deshalb möglich, dass der Schuldner dem Gläubiger eine andere Leistung anbietet. Dabei muss der Schuldner hoffen, dass der Gläubiger die Leistung anstelle der eigentlich vereinbarten Obligation annimmt.
Da es sich hier um eine Modifikation des ursprünglichen Vertrages handelt, muss diese in der gleichen Form festgehalten werden, wie der Ausgangsvertrag. Erst wenn der Gläubiger – ausdrücklich oder konkludent – erklärt, dass er die Leistung an Erfüllungs Statt annimmt, geht die eigentlich geschuldete Obligation unter und die Leistungspflicht des Schuldners entfällt bzw. transformiert sich in eine anders geartete Obligation.
Leistung erfüllungshalber
Eine andere Rechtslage ergibt sich dann, wenn der Schuldner dem Gläubiger eine andere Leistung anbietet und dieser diese vorbehaltlich annimmt, ohne dabei auf den ursprünglichen Erfüllungsanspruch zu verzichten. In der Rechtswissenschaft wird von Leistung erfüllungshalber gesprochen. Tritt dieser Fall ein, so wird die Leistungspflicht gestundet. Erst wenn der Gläubiger durch die alternative Leistung Befriedigung erfährt, geht die erste Leistungspflicht unter. Nimmt der Gläubiger die andersartige Leistung jedoch nicht an, so muss der Schuldner wie ursprünglich vereinbart leisten. Die Forderung bleibt also bestehen.
Rechtsfolge der Erfüllung der Obligation
Die Rechtsfolge, die sich aus der Erfüllung der Obligation ergibt, ist recht eindeutig: Hat der Schuldner an den Gläubiger geleistet, wird das Schuldverhältnis aufgelöst und die Leistungspflicht erlischt. Wäre dem nicht so, könnte der Gläubiger eine bestimmte Leistung immer wieder verlangen, obwohl der Schuldner die Leistung bereits bewirkt hat. Eine Ausnahme sind sogenannte Dauerschuldverhältnisse. Bei diesen muss die Leistung so lange bewirkt werden, wie das Schuldverhältnis besteht. Ein Dauerschuldverhältnis ist beispielsweise ein Mietvertrag. Hier erlischt die Pflicht des Vermieters, den Mietern den Wohnraum zu überlassen, nicht durch die Schlüsselübergabe. Dieser Zustand muss über den gesamten Zeitraum der Vertragslaufzeit aufrecht erhalten werden. Ebenso erlischt die Leistungspflicht des Mieters, den Mietzins zu entrichten, nicht mit der ersten Überweisung der Miete.
Bei Kaufverträgen, Werkverträgen und ähnlichen Abreden ist es jedoch so, dass die Leistungspflicht entfällt, sobald Erfüllung bewirkt wurde. Ist die Kaufsache übergegangen und der Kaufpreis gezahlt erlischt das Schuldverhältnis. Gleiches gilt, wenn das Werk verrichtet und die vereinbarte Entlohnung dem Werkvertragsnehmer gegeben wurde.
Nicht erfolgte Erfüllung einer Obligation
Interessanter als die Betrachtung der Rechtslage, wenn die Erfüllung einwandfrei vonstatten gegangen ist, sind die Fälle, in welchen nicht wie vereinbart die Obligation erfüllt wurde. Ist dies der Fall, spricht man im Rechtsjargon von Leistungsstörungsrecht. Wie ist zu verfahren, wenn gar nicht, nur teilweise oder einfach unzureichend geleistet wurde? Diese Fragen erschöpfend zu beantworten, würde den Rahmen sprengen. Neben diesen zwei Fällen ist es auch denkbar, dass eine Erfüllung auf Grund von Unmöglichkeit ausscheidet. Deshalb hier eine kleine Einführung in die Rechtslage, wenn die Obligation nicht wie vereinbart erfüllt wurde:
Aliudlieferung (Falschlieferung):
Bei der Falschlieferung kommt es darauf an, ob eine Gattungs- oder Speziesschuld vereinbart wurde. Bei Speziesschulden liegt eine Aliudlieferung vor, wenn allgemeine eine andere Sache geliefert wird, als im Voraus besprochen wurde. Dabei kommt es nicht auf die objektive Qualität und Güte an, sondern lediglich um die Eigenschaft bzw. Einzigartigkeit, die nicht erfüllt wurde. Beispiel: Sie kaufen ein signiertes Trikot Ihres Lieblingsvereins. Der Verkäufe sendet Ihnen jedoch ein einfaches Trikot, welches nicht signiert wurde. Falschlieferung bei Gattungsschulden kann nur dann vorliegen, wenn die gelieferte Sache einer anderen Gattung, als vereinbart wurde, entspricht. Ein Beispiel: Sie bestellen 100 kg Bananen, der Großhändler aus Zürich liefert Ihnen jedoch 100 kg Äpfel.
Schlechtlieferung:
Auch bei der Schlechtlieferung macht es einen Unterschied, ob eine Gattungs- oder Speziesschuld vorliegt. Bei Speziesschulden spricht man immer dann von Schlechtlieferung, wenn die Sache nicht die vertraglich verabredeten Eigenschaften aufweist. Eine mangelhafte Sache kann die Obligation jedoch dann erfüllen, wenn der Mangel bekannt und gewollt war. Andernfalls steht dem Gläubiger lediglich ein Anspruch aus Sekundäransprüchen (Gewährleistungsrecht) zu. Ein antikes Möbelstück mit einem kaputten Scharnier ist nicht automatisch mangelhaft, da diese Beeinträchtigung der Funktion ggf. zur Einzigartigkeit und Authentizität der Sache beiträgt.
Bei Gattungsschulden liegt Schlechtlieferung vor, wenn die Kaufsache im negativen Sinne von der vereinbarten Beschaffenheit abweicht. Sobald sich die Gattungsschuld nach Art. 71 OR konkretisiert hat (bestimmte Stücke einer Gattung entnommen und für einen Gläubiger durch den Schuldner ausgesucht wurden) muss der ausgewählte Vertragsgegenstand mindestens mittlere Güte Anforderungen erfüllen. Der Gläubiger hat keinen Anspruch auf die “beste Ware” (s. Art. 71 Abs. 2 OR). Lediglich dann, wenn die Gattungsschuld die mittlere Güte unterschreitet, liegt eine Schlechtleistung vor. Die Rechtsfolgen für eine Schlechtleistung bei Gattungsschulden ergeben sich aus Art. 197 ff. OR (Mängelgewährleistung).
Wie kann ein Anwalt für Vertragsrecht helfen?
Wenn Sie eine Obligation begründen möchten, dann ist das Ziel dieser die Erfüllung der vereinbarten Leistungspflicht. Für den Fall, dass ein Schuldner nicht leistet oder es zu anderweitigen Leistungsstörungen kommt, ist es ratsam Kontakt zu einem Rechtsanwalt für Vertragsrecht aufzunehmen. Das Schweizer Leistungsrecht / Leistungsstörungsrecht ist mitunter komplex und es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, um eine Nichterfüllung zu reagieren. Wie Sie vorgehen, hängt von Ihrer individuellen Lage ab. Ein Anwalt zeigt Ihnen Ihre Möglichkeiten auf und hilft Ihnen zu Ihrem Recht zu kommen. Ein Anwalt für Vertragsrecht unterstützt Sie auch dabei, rechtsverbindliche Obligationen zu formulieren und damit eindeutig bestimmbare Leistungspflichten zu begründen.
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