Ausgangssituation des Streitfalls
Ein Auslegungsstreit kommt dadurch zustande, dass zwischen den Vertragsparteien fehlender Konsens in Bezug auf den Vertragsinhalt herrscht. In der Praxis kann ein Auslegungsstreit dadurch ausgelöst werden, dass eine Vertragspartei Ansprüche stellt, die ihr ihrer Ansicht nach aus dem Vertrag zustehen, während die andere Vertragspartei einen anderen Standpunkt vertritt und behauptet, dass der Vertragsinhalt anders zu verstehen sei. Dabei kann es sich zum Beispiel um einen Kaufvertrag handeln oder Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB), in welchen einzelne Bedingungen strittig sind – sei es infolge von uneindeutigen Formulierungen, Missverständnissen, Irrtümern oder bewusster Täuschung.
Dass der Vertrag an sich Bestand hat, wird beim reinen Auslegungsstreit seitens der Parteien bzw. des Gerichts nicht in Zweifel gezogen. In einem solchen Fall spricht man von einem sogenannten Konsens Streit. Beim Auslegungsstreit geht es darum, dass der Vertrag aufrecht bleibt und vor Gericht lediglich eine Einigung über den strittigen Vertragspunkt herbeigeführt wird bzw. verbindlich festgelegt wird, wie dieser aufzufassen ist. In Verbindung mit einem Auslegungsstreit kann es jedoch in manchen Fällen durchaus auch zu einem Konsens Streit kommen. Sind wesentliche Vertragsinhalte betroffen, stellt sich nämlich die Frage, ob der Vertrag in dem Fall überhaupt noch als zustande gekommen betrachtet werden kann bzw. aufrechtzuerhalten ist.
Ziele eines Auslegungsstreits
Ein Auslegungsstreit zielt darauf ab, Konsens herzustellen und verbindlich festzulegen, wie der Vertragsinhalt aufzufassen ist. Im Zuge dessen kann es auch zu einer Ergänzung oder Änderung des Vertragsinhaltes kommen. Dabei sollen Missverständnisse, wie sie etwa durch unklare Formulierungen oder Uneindeutigkeit einzelner Worte zustande kommen können, aus dem Weg geräumt werden und es wird der tatsächliche Wille der Vertragsparteien begründet. Es geht beim Auslegungsstreit zunächst vor allem darum, zu ermitteln, wie der Vertragsinhalt von den Parteien gemeint war bzw. verstanden wurde. Orientierungspunkt für die gerichtliche Entscheidung ist also nicht primär die objektive Auslegung des Vertragsinhaltes, sondern das subjektive Verständnis der Beteiligten.
Wurde im Vertrag irrtümlicherweise ein Begriff verwendet, der nicht korrekt ist, ist es nicht Ziel des Auslegungsstreits, die Vertragsparteien an die dadurch zustande gekommene Bedeutung des Vertragsinhaltes zu binden, sondern den Vertrag so festzulegen, wie er dem eigentlichen Willen der Vertragsparteien entspricht. Dies gilt dann, wenn beide Vertragsparteien darin übereinstimmen, was im Zusammenhang mit einem bestimmten Begriff oder einer Vertragspassage angestrebt wurde. Die Vertragsauslegung erfolgt auch dann nach dieser Prämisse, wenn Begriffe absichtlich verwendet wurden, um die andere Vertragspartei über den tatsächlichen Inhalt des Vertrages zu täuschen. In solchen Fällen wird also auch in die Entscheidung miteinbezogen, wie die andere Partei diesen Begriff verstanden hat.
Kann auf diese Weise kein Konsens erreicht werden, weil eine der Vertragsparteien eine Vereinbarung anders auffasst, erfolgt die Auslegung des Vertragsinhaltes unter dem Gesichtspunkt der Objektivität („normative Auslegung“). Andere Kriterien wie etwa der Vertragszweck rücken dann in den Vordergrund. Die Auslegung des Vertrages wird nach dem Vertrauensprinzip vorgenommen. Demgemäss sind die Vertragsinhalte so auszulegen, wie sie vom Erklärungsempfänger in guten Treuen verstanden werden dürfen bzw. müssen – dies ergibt sich aus dem Wortlaut, Zusammenhang und den Gesamtumständen. Der Vertrag ist gültig, wenn ein normativer Konsens besteht.